Montag, 28. April 2014

Fazit

Inzwischen bin ich schon wieder einige Tage im frühlingshaften Deutschland zurück. Zeit, ein Fazit der vergangenen 3 Monate zu ziehen.
Das Wichtigste gleich vorneweg. Was ich erst selbst erfahren musste, Urlaube von 6 oder 8 Wochen haben für mich die richtige Länge, 3 1/2 Monate - soviel war geplant - sind einfach zu lange. War ich am Anfang noch neugierig auf jede neue Stadt und Sehenswürdigkeit, so ließ ich mich am Ende nur noch treiben und war irgendwie so voll mit Eindrücken, dass ich auf Neues gar nicht mehr scharf war. Mag sein, dass dies nicht für jeden Urlaub gilt, aber dieser war effektiv zu lange, vielleicht hätte ich ihn besser in 2 Etappen gemacht.

Insgesamt bin ich 11350 km durch die Länder Chile, Argentinien, Bolivien und Peru gefahren. Die ersten 6 Wochen mit dem Rucksack waren es 4050 km, davon 250 km zu Fuss durch die Nationalparks, den Rest mit Bus und Schiff. Im zweiten Teil mit dem Motorrad waren es 7300 km, bis auf 300 km alles mit dem Moped.

In noch keinem meiner bisherigen Urlaube hatte ich so viele Probleme und so große Verluste. In der Mongolei, das war damals  ein  Ereignis, mein Motorradunfall, der zwar zum Abbruch führte und bei dem ich auch eine ganze Menge Geld in den Wind geschossen habe, aber alles beruhte auf diesem einen Ereignis.
Dieses Mal fing es schon mit dem Rucksack an, der beim Hinflug erst nach 2 Tagen wieder auftauchte. Den Kocher musste ich ersetzen, weil es keine passenden Kartuschen gab. Den Griff des Kochgeschirrs ließ ich liegen, meinen Leatherman warf ich weg, nachdem er total stumpf war. Meine warme Mütze wurde geklaut. In der zweiten Woche stürzte ich beim Abstieg vom Paso John Garner und zog mir zumindest eine Außenbänderzerrung, wenn nicht sogar einen Bänderriß zu, mit dem ich den ganzen restlichen Urlaub zu tun hatte. Manch Anderer hätte seinen Urlaub da schon  abgebrochen, ich konnte nur noch mit Hilfe eines Stockes laufen. Die nagelneuen Trekking-Schuhe von Keen ließ ich in einer Unterkunft stehen, und Handy, die ganze Fotoausrüstung mit meiner neuen Samsung NX300 und 5 Objektiven, der Garmin-Temperaturmesser und einige Kleinteile wurden mir bei einem Überfall gestohlen. Dabei ging auch meine Trekking-Hose kaputt. Mitten auf der Lagunenroute in Bolivien bekam ich dann eine Zahnentzündung mit höllischen Schmerzen, so dass der Zahn in La Paz gezogen werden musste. Kaum hatte ich das hinter mir, plagte ich mich fast den gesamten Rest der Reise mit Durchfall und Bauchkrämpfen herum, besonders extrem an dem Tag, als wir Machu Picchu besuchten. Außerdem hatte ich mit dem Motorrad Probleme mit der Kupplung - jeden Tag musste ich den Zug nachstellen - sowie den Bremsen, in die offenbar Luft eingedrungen war. Es wunderte mich auch gar nicht, als jetzt die Mitteilung kam, dass sich der Rücktransport der Mopeds verzögert und diese erst Anfang Juni ankommen. Eigentlich wollte ich noch eine Inspektion machen und neue Reifen draufziehen lassen, bevor es am 14.Juni mit Bekannten in die Alpen geht. Das könnte knapp werden.

Noch bin ich mir nicht sicher, was der Überfall bei mir hinterlassen hat. Den materiellen Verlust habe ich schon längst weggesteckt, aber dass ich mich so blöde in eine solche Situation begeben habe und auch die Aggressivität der Angreifer hinterlassen Spuren in meiner Psyche. Selbst mit Matthias und Erwin als Begleitung hatte ich mich plötzlich in der Dunkelheit oder an einsamen Plätzen unsicher gefühlt. Fast täglich kommt mir der Blick in die Augen des jungen Mannes in den Sinn, der mir mit einem Faustschlag die Brille von der Nase geschlagen hatte: da war nur kalte Wut, keine Nachsicht, kein Überlegen. Da ging es um Haben oder Nichthaben, um jeden Preis.
Und dennoch bin ich glücklich, dass es so ausging. Natürlich hätte ich gerne ein Pfefferspray bei mir gehabt, vielleicht hätte es etwas genutzt, wenn ich den Typen rechtzeitig bemerkt hätte. Aber er hätte ja auch ein Messer zücken können, oder der Zweite hätte mir, während ich auf der Bank der Bushaltestelle saß, von hinten eine Schlinge um den Hals legen können. Manchmal überlege ich auch, ob ich mit einem eigenen Messer mehr hätte ausrichten können. Aber die Gefahr, dass dann einer der Angreifer oder ich selbst dabei ernsthaft verletzt worden wäre, wäre sicher enorm gestiegen, und das wäre in keinem Verhältnis zum Schaden gestanden. Letztlich hatte ich ja sogar Glück im Unglück: um nicht immer die ganze Fototasche auf dem Schiff nach Puerto Montt mitschleppen zu müssen, hatte ich Pass und Geldtasche aus der Tasche in meine Jacke gesteckt und damit behalten.

Die Natur im Süden Chiles und Argentiniens ist großartig. Eine rauhe Landschaft, aber die Berge, die vielen Flüsse und Seen, die Gletscher und das Meer liefern immer neue großartige Bilder. Eigentlich war das der anstrengendste Teil meiner Reise, aber auch der schönste. Die 1 1/2 Wochen im Torres del Paine Nationalpark bestimmte die Route den Tagesablauf und das körperliche Befinden, und abends war ich geschafft, aber glücklich. Der Perito Moreno-Gletscher war ein Highlight, und auch der zweite Trekking-Teil im Fitz Roy-Nationalpark war super. Die Entscheidung, den "geheimen Grenzübergang" über den Lago O'Higgins zu nehmen, bereue ich nun etwas. Die Busverbindungen auf der Carretera Austral in der Ferienzeit sind einfach katastrophal, eine geregelte Reise war dort gar nicht möglich, und das hieß Warten, Warten Warten...., manchmal 5 Tage lang. Per Anhalter hatte ich ohne Spanischkenntnisse kaum eine Chance, denn auf 20 am Tag passierende Autos kamen 30 Tramper, es waren halt Sommerferien da unten. Dadurch brauchte ich bis Puerto Montt sehr lange und verpasste auch viele Sehenswürdigkeiten, weil ich meinen Sitzplatz im Bus nicht aufgeben wollte. Statt zum Vulkan Villarica zog ich es nach dem Überfall vor, die letzte Woche alleine in Santiago zu verbringen, die Angst war einfach zu groß.

Als dann in Valparaiso der zweite Teil der Reise begann, war ich froh über die Gesellschaft und den Schutz der Gruppe. Während aber bei der Motorradreise 2010 der durch den Veranstalter vorgegebene Streckenplan mit vorgebuchten Unterkünften die Gestaltungsmöglichkeiten etwas eingrenzte - man konnte aber durchaus für 2 oder 3 Tage etwas Anderes machen - , machte diesmal jeder, was er wollte. Hartmut wollte nach Süden, die restlichen 7 Fahrer fuhren erst mal gemeinsam nach Norden los. Am Abra del Acay im Norden Argentiniens löste sich dann alles auf, weil einige keine Piste mehr fahren wollten. Dazu kamen Defekte an den BMWs, gesundheitliche Probleme und die schwierigen Pisten der Lagunenroute, so dass wir erst in La Paz wieder aufeinander trafen, und das auch nur für kurze Zeit. Ich will das hier nicht weiter ausbreiten, das steht ja im Blog. Ich persönlich fühlte mich aber vor 4 Jahren wesentlich wohler. Da wusste ich, wo die Gruppe ist. Diesmal meistens nicht! Mein Handy war ja geklaut worden, aber auch die übrigen Teilnehmer konnten nur selten per SMS kommunizieren. Internet wiederum gab es im Süden Boliviens fast gar keines, und somit auch keine Mails. Eine gemeinsame Besprechung vor dem Befahren eines neuen Abschnitts (Briefing) gab es auch nicht, weil ja jeder völlig frei war. Ich hätte mir viel mehr Kommunikation gewünscht, manchmal hatte ich schon fast das Gefühl, wir sind nur wegen des gemeinsamen Transports als Gruppe zusammen. Zum Glück hatte ich mit Erwin und Matthias zwei gute Mitfahrer, die auf mich auch mal warteten, und auch mit Dieter kam ich auf dem gemeinsamen Weg nach Ollantaytambo klar.


Den Paso San Francisco fand ich nicht so spektakulär wie vor 4 Jahren den Agua Negra, dafür erwies sich der Abra del Acay, den ich damals noch mit der XChallenge und ohne Gepäck alleine bewältigt hatte, diesmal als recht schwierig. San Pedro de Atacama und die Lagunenroute waren neu für mich, die Sandpassagen extrem problematisch. Mit dem Wetter hatten wir anschließend weniger Glück, es regnete und graupelte oft und war in Höhen über 4000 m einfach saukalt. Die Strecke von Cusco nach Nasca war für mich neu und wunderschön zum Motorradfahren. Selbst die Panamericana nach Süden erwies sich als weniger eintönig wie gedacht. Immerhin kam in Arica noch einmal ein wenig Gruppenfeeling auf, nachdem sich alle 8 Motorradfahrer wegen des Transports dort wiedertrafen und zum Abschluß noch einmal ein gemeinsames Abendessen stattfand.

Die Begegnungen mit den Südamerikanern hatte ich mir auch anders vorgestellt. Egal ob in Chile, Bolivien oder Peru, ihr Interesse dauerte meistens nur solange, wie sie einen Profit für sich für möglich hielten. Der schlimmste Fall war der Taxifahrer, der mich mit blutüberströmten Gesicht nach dem Überfall noch abzocken wollte statt mir zu helfen. Aber auch sonst war wenig Interesse zu finden, von einigen Chilenen mit deutschsprachiger Herkunft mal abgesehen. Alle südamerikanischen Länder, besonders aber Chile,  sind wirtschaftlich am Durchstarten, es geht vielen Menschen besser als vor einigen Jahren, es wird konsumiert und man streikt vielleicht gegen illegale Minenarbeiter, aber für Europa interessiert man sich nicht. Wenn ich ganz ehrlich bin, Südamerika interessiert uns ja auch nur, wenn dort die Fussballweltmeisterschaft stattfindet oder wir eine Reise dorthin machen. So waren die interessantesten Gesprächspartner eher die andern Reisenden oder Studenten aus Europa oder den USA, die Chile, Argentinien, Bolivien und Peru einen Besuch abstatteten. Meistens waren diese in den bekannten Hostals anzutreffen. So kann ich Hartmuts Vorliebe für diese günstigen Unterkünfte nachvollziehen, der dort immer Gesprächspartner fand. Während der ganzen 3 Monate habe ich nicht eine persönliche Einladung eines Einheimischen zu sich nach Hause bekommen. Das war bei vielen meiner früheren Urlaube völlig anders.

Ein Urlaub in Südamerika ist nicht mehr billig. Benzin kostet zwar im Durchschnitt immer noch ein Fünftel weniger als bei uns, die öffentlichen Busse genauso, aber die Entfernungen sind auch riesig. Meine BMW 800 GS hat sich als sehr sparsam erwiesen, bei normaler Fahrweise abseits der Schnellstrassen verbrauchte sie keine 4 Liter auf 100 Kilometer. Die Unterkünfte in den Mehrbett-Dorms kosteten zwischen 10 und 15 Euro, in den Hotels deutlich mehr. Essen konnte man ab 5 Euro, in einem normalen Restaurant lagen die Preise etwa 1 Drittel unter denen bei uns. Teuer waren immer die Touristenorte und die Sehenswürdigkeiten: die Kondore z.B. 70 Soles gleich 20 Euro Eintrittsgebühren oder Machu Picchu etwa 150 Euro. Natürlich ist ein 3-Monats-Urlaub nicht zum Preis eines Kanaren-Trips zu haben, aber in Afrika müsste man dafür wesentlich weniger Geld ausgeben.

Und was bleibt? Ich fand die Natur großartig. Wo sonst hat man 6000er neben tropischer Vegetation, Gletscher neben dem Meer mit Bademöglichkeiten, grüne Tropenparadiese neben einer Wüstenlandschaft. Aber ich war jetzt zum zweiten Mal in Südamerika, jetzt reicht es mir auch erst mal für die nächste Zeit. Vielleicht später einmal die Ostküste und die Länder, die weiter im Norden gelegen sind. Die Menschen haben mich nicht aufgefordert, sie noch einmal zu besuchen, warum sollte ich es also tun? Motorradfahren macht Spass dort, es gibt viele Offroad-Strecken und traumhafte Kurvenstrecken. Trotzdem würde ich das nächste Mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen, um mehr Kontakt zur Bevölkerung zu bekommen. In ein paar Tagen werde ich 60, und es gibt noch viel zu entdecken auf dieser Welt. Australien, die Nationalparks in Nordamerika, und auch die abgebrochene Reise von der Mongolei nach Deutschland stehen auf meiner Liste genauso wie vieles andere. Ich bin noch am Überlegen, aber mit Sicherheit werde ich im Herbst noch einmal irgendwo unterwegs sein. Bis dahin lasse ich es aber erst mal langsam angehen ....

  

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